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Experiment auf einem barocken Bildboden, 1998

Probeaufführung am 26.6.1998

Friedenskirche Arnum, Bockstr. 33, D-30966 Hemmingen

Experiment auf einem barocken Bildboden„, so bezeichnen Eva Koethen und Bärbel Kasperek ihre künstlerische Auseinandersetzung mit den figurativen Ausschmückungen einer Kanzel in einem Kirchenraum. Es handelt sich dabei nicht um die vertraute, in der Kirche bereits vorfindliche Kanzel. Stattdessen konfrontieren die beiden Künstlerinnen Raum und ZuschauerInnen mit einem im Kern bereits 1710 von Balthasar Permoser erschaffenen Exemplar. Wie sinnlich solche erhabenen Orte doch im Spätbarock sein konnten! Fleischfarbene Engel, ineinander verschlungen, – das pralle Leben lacht einem aus diesen angeblich geschlechtslosen Wesen entgegen. Zwischen den Körpern immer wieder Verzierungen, Rundungen, mit denen sich die weichen Formen harmonisch verbinden, in die sie bisweilen hinüberzugleiten scheinen. Sehen so Engel aus, die Leidenswerkzeuge Christi verehren? Gewöhnlich läßt sich diese Fleischeslust in der Hofkirche und Kathedrale Sanctissimae Trinitatis am Schloßplatz der Dresdener Altstadt bewundern. Dort hat sie Eva Koethen aufgespührt und mit der Kamera ins rechte Licht gerückt. Jetzt erscheinen die Engel auf riesigen Farbfotografien. Als Bildteppich füllen sie Gänge, verbinden Eingangspforten mit Kanzel, Taufstein, Altar oder Kruzifix. Die Zuschauenden werden über eine ruhige Aktion in den Raumdialog hineingenommen: Zu Beginn ist der Bildboden Unsichtbar, mit weißem Mehl bestäubt, nichts deutet auf seine Expressivität hin. Die schwarzgekleidete und barfüßige Bärbel Kasparek wird ihn Stück für Stück mit ihren Füßen, Händen und dem ganzen Körper freilegen. Anfangs sind es erste Spuren, die durch kurze und lange Schritte markiert werden, später ganze Szenarien, die vor dem staunenden Auge auftauchen und immer stärker in Korrespondenz zum Raum treten. Enthüllungen, die von partiellen Verhüllungen (Mehlspuren, der Körper der Akteurin auf dem Bildboden) begleitet werden. Das Ganze endet gut protestantisch profan: Mit dem Besen wird auch das letzte Mehlkörnchen sorgfältig beseitigt, – so als ob KünstlerInnentätigkeit einmal nicht außen vorbleibt, sondern selber Bestandteil der Performance wird. Sind Sie gespannt auf neue Seherfahrungen im eigenen Kirchenraum? Wollen Sie sich künstlerisch und theologisch davon herausfordern lassen, wenn Engel beispielsweise den Weg zum Kreuz markieren? Dann solten Sie sich direkt an eine der beiden Künstlerinnen wenden und mit ihr eine auf den Raum zugeschnittene Inszenierung verabreden. Ich persönlich kann dieses Experiment nur wärmstens empfehlen.
(Caren Beckers, aus: KUNST INFO Nr. 9, AK Kirche Künste Kultur, Hannover)